Homeoffice: wir sind allein. Allein, allein. Allein, allein.

Hannah K
5 min readJan 11, 2021
Bild von PagDev auf Pixabay

Das letzte Jahr hat mit Corona für viele von uns einiges an Veränderungen mit sich gebracht. Plötzlich keine Kulturveranstaltungen, keine Reisen, keine Bars und Restaurants, kein Schwimmbad- oder Museumsbesuch mehr. Von einem auf den anderen Tag ist das Virus Thema Nummer 1 — in der Zeitung, im Radio, in Talkshows. Virologe Christian Drosten hat schlagartig mehr Twitter-Follower als das Model Stefanie Giesinger. Auf einmal gibt es überfüllte Intensivstationen, viele Tote, viel Leid. Kindergärten und Schulen werden geschlossen, Arbeiten von zu Hause wird möglich und das nicht mehr nur tageweise oder für einige auserwählte Mitarbeiter. Überall da, wo es möglich ist, wird die Arbeit ins Homeoffice verlegt. Eine Studie im Auftrag des Digitalverbands Bitkom hat ergeben, dass seit März 2020 jeder zweite Berufstätige ganz oder zumindest teilweise im Homeoffice arbeitet. Dies hat vielen sicherlich gerade zu Anfang der Pandemie sehr geholfen oder zumindest gefallen. Die Gedanken kreisten immerzu nur um Corona, egal wo man hinsah oder hinhörte, an jeder Ecke warteten nur schlechte Nachrichten: gestiegener Inzidenzwert hier, verschärfte Maßnahmen dort, Covidioten überall. Da war es doch schön, sich nicht auch noch wie sonst immer morgens früh in die Kälte quälen und dann in die volle U-Bahn quetschen zu müssen, sondern stattdessen einfach ein wenig länger schlafen zu können. Auch das neue Business Outfit bestehend aus Bluse oder Hemd obenrum und Jogginghose untenrum ganz getreu dem Motto „Oben hui, unten pfui“ dürfte vielen von Anfang an gefallen haben. Wenn der Handwerker vorbeikommt, heißt das plötzlich nicht mehr automatisch einen halben Tag Urlaub weg und es besteht auf einmal eine realistische Chance, dass der Paketbote einem die Lieferung tatsächlich persönlich zustellt und sie nicht beim Nachbarn abgibt, dem man dann tagelang hinterherlaufen muss, um sein Paket zu erhalten. Die Glücksgefühle über die neuen Arbeitsbedingungen halten einige Zeit an, sie machen den Frühling in diesem pandemiegebeutelten Jahr erträglicher.

Doch spätestens im Sommer, als uns der Schweiß in unserem nichtklimatisierten Ein-Mann-Büro herunterläuft und die Sicht auf die vom Chef angeforderte Excel-Liste behindert, dämmert uns langsam, dass Homeoffice nicht die neue Freiheit, sondern auf Dauer eine Plage ist. Wir vermissen plötzlich schmerzhaft das Kantinenessen und die immerzu schmutzige Teeküche. Wir möchten verzweifelnd am Drucker stehen, weil dieser natürlich wieder mal nicht funktioniert. Wir möchten endlich die Kollegen wiedersehen, also in echt, nicht mehr nur im verpixelten Zoom-Meeting. Und vor allem möchten wir mal wieder rauskommen, andere vier Wände um uns herum sehen, denn die eigenen lassen uns beinahe durchdrehen. Vor allem in den Städten, wo viele Menschen auf wenig Fläche kommen, sind die Wohnungen klein und die Homeoffice Plätze damit noch kleiner. In meinem Fall bedeutet das: eine 1-Zimmer-Wohnung. Ein Raum, Küchenzeile und Bad — mein eigenes Reich erstreckt sich auf in normalen Zeiten schnuckelige, in Corona-Zeiten beengende 30 Quadratmeter. Arbeiten, fürs Studium lernen, essen, Rechnungen bezahlen, alles an einem Tisch. Schlafen, Wäsche machen, Zeitung lesen, Kochen, Home Workout, telefonieren, den Abwasch machen, alles in einem Raum. Ein Tag gleicht dem anderen, ist heute wirklich schon wieder Donnerstag? Am Ende eines jeden Tages schmerzen die Augen wegen des viel zu kleinen Laptopbildschirms. Der Rücken tut weh, weil der Esstisch natürlich nicht die richtige Höhe hat und wo soll in der kleinen Wohnung nun auch noch ein ergonomischer Bürostuhl Platz finden? Aber zumindest hat man sich schnell mit Zoom & Co. angefreundet, sodass dem nächsten virtuellen Jour fixe nichts mehr im Wege steht. Über die kleinen Dinge im Leben muss man sich freuen. Denn diese schnelle Auffassungsgabe bezüglich der modernen Kommunikationsmittel ist nicht selbstverständlich. Vor allem ältere Arbeitnehmer haben Probleme, sich in der mehr und mehr digitalisierten Arbeitswelt zurechtzufinden. Eine Arbeitsmarktstudie des Marktforschungsinstituts Lünendonk ergab, dass weniger als 40 % der Arbeitnehmer in der Altersgruppe 50 bis 59 denken, dass die Vorteile neuer digitaler Technologien für sie überwiegen. Meine Mutter gehört wohl zu dieser Personengruppe. Wenn sie von Teams spricht, dann geht es mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine Fußballmannschaft und keineswegs um das Gruppenchat-Tool Microsoft Teams. Vor kurzem hat ihr Chef dann ein Zoom-Meeting einberufen. Da es keine Generalprobe gegeben hatte, die hätte schieflaufen können, verlief das Meeting für meine Mutter eher suboptimal. Sie gelangte zwar in den virtuellen Konferenzraum, konnte jedoch weder den Button für das Mikrofon noch für die virtuelle Hand-Hebe-Funktion finden und sich somit auch nicht aktiv am Gespräch beteiligen. In einem Gespräch voller Selbstzweifel, weil man die Schuld immer zuerst bei sich selbst und nicht etwa in der fehlenden Schulung des neuen Programms durch den Arbeitgeber sucht, redete ich ihr gut zu. Ich versicherte ihr, dass das nächste Meeting sicherlich schon besser laufen würde. Doch es nützte alles nichts, Mama war nervös. Also verabredeten wir uns zu einem Übungs-Zoom. Ich setzte ein Meeting an und wir gingen gemeinsam Schritt für Schritt alle Funktionen durch. Ihr nächstes Meeting steht nächste Woche an und es wird nun mit Sicherheit gut laufen. Das ist auch wichtig und gut so, denn schaut man sich die trotz Lockdowns immer noch steigenden Corona-Zahlen an, so wird schnell klar, dass es in Zukunft wohl noch viele weitere solcher virtuellen Meetings im Homeoffice geben wird.

Nach nunmehr beinahe einem Jahr Homeoffice für viele Arbeitnehmer wird es Zeit, etwas zu unternehmen. Am Anfang hat uns die erste Welle alle überrascht und übermannt. Überall wo möglich wurden Mitarbeiter ins Homeoffice umquartiert und alle Beteiligten waren froh, dass der Betrieb weiterlaufen konnte. Das galt zu Beginn. Mittlerweile ist viel Zeit vergangen und auch wenn die zweite Welle gerade höherschlägt als die erste, muss jetzt über zukünftige Arbeitsbedingungen im Homeoffice gesprochen werden. Es muss jetzt gehandelt werden, um die Arbeitnehmer nicht unnötig physisch und psychisch zu belasten. Egal, ob Überforderung mit den digitalen Kommunikationsmitteln, drohende Depression wegen Vereinsamung oder aber körperliche Beschwerden durch die falsche Büroausstattung — Arbeitnehmer dürfen hier nicht allein gelassen werden. Selbstverständlich müssen hier alle gemeinsam daran arbeiten, diesen Zuständen vorzubeugen — auch die Arbeitnehmer selbst. Wer den ganzen Tag allein vor dem PC im Homeoffice sitzt, sollte sich gerade jetzt nach Feierabend sportlich betätigen. Das am besten an der frischen Luft, um den Vitamin D Haushalt aufzufüllen. Bereits während des Arbeitstages können kleine Auflockerungsübungen zwischendurch dazu beitragen, Verspannungen vorzubeugen. Auch während der Arbeit im Homeoffice sollte niemand auf die Mittagspause verzichten und die Arbeitszeiten dauerhaft überschreiten. Um nicht zu vereinsamen, sollten soziale Kontakte gepflegt werden, wenn aus Infektionsschutzgründen zurzeit auch nur über Video- oder Telefonanrufe. Darüber hinaus sollten von den Unternehmen Tipps und Tricks für die Arbeit im Homeoffice für jeden Mitarbeiter zugänglich gemacht werden, beispielsweise durch die Veröffentlichung im firmeneigenen Intranet. Des Weiteren sollte es einen vertrauensvollen Ansprechpartner für Fragen oder Probleme rund um das Thema Homeoffice geben. Regelmäßige virtuelle gemeinsame Kaffeepausen oder Mittagessen können helfen, der drohenden Vereinsamung im Homeoffice vorzubeugen. Es gibt sowohl für die Arbeitnehmer selbst als auch für die Arbeitgeber Möglichkeiten, die Zeit im Homeoffice so zu gestalten, dass produktives Arbeiten in den eigenen vier Wänden entstehen kann. Wichtig ist es, jetzt entsprechende Schritte einzuleiten, damit das vielversprechende Thema Homeoffice nicht als coronabedingte Maßnahme in die Firmengeschichten eingeht, sondern in Zukunft flächendeckend fester Bestandteil der modernen Arbeitswelt ist.

In diesem Text sollen sich alle Geschlechter vertreten sehen. Für einen leichteren Lesefluss wurde auf die genderspezifischen Formulierungen innerhalb des Textes jedoch verzichtet.

--

--